Wie erkennt man Hochbegabung – Interview mit Ulrike Rebstock von der Kleine Füchse Raule-Stiftung

Wie erkennt man Hochbegabung bei kleinen Kindern in der Kita oder der Krippe? Und wie fördert man diese Hochbegabung? Ulrike Rebstock, Diplom-Psychologin und Leiterin der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Kleine Füchse Raule-Stiftung, hat uns diese und viele andere Fragen im Interview beantwortet.

Hochbegabung und überdurchschnittliche Begabungen sind bei kleinen Kindern oft nicht leicht zu erkennen. Manche Kinder werden auffällig, weil sie sich unverstanden fühlen oder langweilen. Die Kleine Füchse Raule-Stiftung aus Wiesbaden schult Erzieherinnen und Erzieher in einer zertifizierten Fortbildungsreihe darin, Begabungen früh zu erkennen. Darüber hinaus berät sie Eltern und begleitet begabte und hochbegabte Kinder auf ihrem Bildungsweg!

Wir haben Frau Ulrike Rebstock, Diplom-Psychologin bei den Kleinen Füchsen, zum Interview getroffen.

Frau Rebstock, wie erkennt man ein höherbegabtes oder hochbegabtes Kind in der Kita? Gibt es bestimmte Anzeichen?

Mit Sicherheit feststellen, ob ein Kind begabt oder hochbegabt ist, kann nur ein Psychologe oder eine Psychologin mithilfe einer Intelligenzdiagnostik. Dennoch gibt es bestimmte Anzeichen, die auf eine Hochbegabung hinweisen. Dazu gehören sehr gute sprachliche Fähigkeiten, ein auffallend rasches und korrektes logisches Schlussfolgern, gutes räumliches Vorstellungsvermögen, herausragende Gedächtnisfähigkeiten und eine hohe Auffassungsgabe. Aber auch als gemeinhin störend geltende Verhaltensweisen können mit einer Hochbegabung einhergehen: eine geringe Frustrationstoleranz etwa, ein schwieriger Zugang zu Gleichaltrigen bis hin zu Rückzug und Aggression. Dabei gilt immer: Hochbegabte Kinder sind genauso individuell wie andere Kinder auch. Gerade in der Kita ist es deshalb  besonders wichtig, dass das pädagogische Personal sich mit frühkindlicher Hochbegabung auskennt und die entsprechenden Beobachtungsmethoden beherrscht.

Was können Erzieher tun, wenn sie eine Hochbegabung vermuten?

Grundlegend ist hier eine stärkenorientierte Haltung. Hochbegabte Kinder werden in der Kita leider viel zu oft „gebremst“ und können ihren Wissensdurst nicht stillen. Das Ziel der Stiftung Kleine Füchse ist es, möglichst viele Erzieherinnen und Erzieher so fortzubilden, dass sie die Bedürfnisse begabter Kinder sehen und integrativ fördern können. Unser Zertifikats-Kurs setzt auf die starke Verzahnung von Theorie und Praxis – wir wollen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unmittelbar im Arbeitsalltag von der Fortbildung profitieren und dass ihr Wissen direkt bei den Kindern ankommt. Vermuten Erzieherinnen oder Erzieher bei einem Kind ganz konkret eine Hochbegabung, sollten sie zunächst das Gespräch mit den Eltern suchen und gemeinsam mit ihnen einen Termin bei einem Begabungspsychologen abwägen. Strategien und Argumente für die Erziehungspartnerschaft mit den Familien hochbegabter Kinder sind ebenfalls Bestandteil unserer Fortbildungsreihe.

Was sollten Erzieher im Umgang mit hochbegabten Kindern beachten und wie können Erzieher Kinder mit Hochbegabung fördern?

Aufgrund ihrer hohen Intelligenz haben die Jungen und Mädchen oft einen großen Wissensdurst und löchern ihre Bezugspersonen mit vielen Fragen. Diesen Wissensdurst gilt es zu fördern, anstatt ihn zu bremsen. Antworten wie „Dafür bist du noch zu jung“ oder „Das verstehst du noch nicht“ sind für hochbegabte Kindergartenkinder frustrierend und enttäuschend. Auch das Interesse an Spielen, die eigentlich für Ältere gedacht sind, sollten Erzieherinnen und Erzieher positiv auffassen und den Kindern ermöglichen, sich damit zu beschäftigen. Gute Erfahrungen machen wir mit begabungsfördernden Projekten, bei denen sich alle Jungen und Mädchen gemäß ihren Interessen und Fähigkeiten einbringen können und bei denen es durchaus auch mal um komplexere Fragestellungen gehen kann. Nicht selten geben sich intelligentere Kinder, die bisher als „unauffällig“ eingestuft wurden, erst dadurch zu erkennen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, kleine „Dienste“ zuzuteilen, mit denen die Kinder Verantwortung übernehmen und gleichzeitig etwas für die Gruppe tun können: zu bestimmten Zeiten das Telefon entgegennehmen, im Morgenkreis das Datum an eine Tafel schreiben oder Jüngeren etwas vorlesen. Ziel sollte dabei immer sein, das hochbegabte Kind integrativ zu fördern – und es damit sowohl in seiner kognitiven als auch in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung zu stärken. Das wirkt sich schließlich positiv auf die Dynamik einer gesamten Kindergartengruppe aus.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Hochbegabung und Hochsensibilität?

Hochbegabung bezieht sich ausschließlich auf die intellektuellen, kognitiven Persönlichkeitsmerkmale einer Person bzw. eines Kindes. Selbst, wenn es sich um außerordentliche sportliche oder musische Fähigkeiten handelt, sprechen wir hier eher von Talent. Das Ausmaß an Intelligenz, welches ein Individuum mitbringt – also auch eine Hochbegabung – lässt sich zuverlässig messen. Hierzu gibt es seit Jahrzehnten standardisierte, unter wissenschaftlichen Kriterien und Methoden entwickelte Intelligenztests für jede Altersstufe ab zweieinhalb Jahren.

Hochsensibilität hingegen ist bisher wenig erforscht und bis heute ein umstrittenes psychologisches Konstrukt. Einig sind sich Fachleute jedoch darüber, dass es sich hierbei um ein Phänomen handelt, das weitgehend unabhängig von der Intelligenz eines Menschen ist. Es gibt sowohl hochbegabte Menschen ohne Hochsensibilität als auch Hochsensible auf allen Intelligenzniveaus. Gemeint ist mit Hochsensibilität eine niedriger als übliche Reizschwelle für Eindrücke aus der Umgebung. Geräusche, Gerüche, Tastempfindungen, aber auch soziale Interaktionen können von manchen Menschen früher, insbesondere jedoch intensiver und detaillierter wahrgenommen werden als von den meisten anderen Personen. Ihnen gelingt es nur schwer, die Vielzahl an Reizen zu ordnen und bedeutungslosere auszublenden. Alle Empfindungen werden als wichtiger interpretiert als sie es für die meisten Menschen sind. Solche Personen werden dann als hochsensibel oder – wenn es sich eher um Sinneswahrnehmungen handelt – als hochsensitiv bezeichnet. Allgemein gültige und zuverlässige Testverfahren gibt es dafür jedoch noch nicht.

Während Hochbegabte oft eine Art Gedankenüberflutung berichten, werden Hochsensible von Reizen überflutet. Gemeinsam ist beiden, dass es sich nicht um Krankheiten, sondern um Persönlichkeitsmerkmale handelt, die ungewöhnlich hoch bzw. stark ausgeprägt sind.

Die Kleine Füchse Raule-Stiftung bietet Beratungen und Testungen auf Hochbegabung an. Ab welchem Alter ist eine Testung sinnvoll und wie läuft so ein Termin bei Kita-Kindern ab?

Wir führen Intelligenzdiagnostiken mit Kindern ab einem Alter von drei Jahren durch, in ganz seltenen Fällen auch etwas früher. Die Psychologinnen in der Beratungsstelle der Stiftung Kleine Füchse sind auf Testungen mit kleinen Kindern spezialisiert, und wir legen großen Wert darauf, dass alle Diagnostiken altersgerecht durchgeführt werden. Im ersten Schritt besprechen wir dazu mit den Eltern die bisherige Anamnese und den konkreten Anlass der Beratung. Die Intelligenzdiagnostik selbst findet an einem gesonderten Termin statt. Sie dauert zwischen zwei und drei Stunden und läuft so spielerisch ab, dass für die Kinder kein Stress entsteht. Im Auswertungsgespräch erfahren die Eltern, wo ihr Kind kognitiv steht, und erhalten ein psychologisches Gutachten sowie Entscheidungshilfen für weitere Fördermaßnahmen. Auch einschneidendere Schritte wie  etwa eine vorzeitige Einschulung werden gemeinsam mit den Eltern und ggf. auch mit den Erziehern gründlich abgewogen und besprochen.

Wie können Erzieher mit den Eltern in Bezug auf Hochbegabung zusammenarbeiten?

Die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern „kleiner Füchse“ ist intensiver und für beide Seiten meist auch anstrengender als üblich, das darf man nicht verleugnen. Es ist wichtig, dass Gespräche in kurzen Abständen stattfinden und die Kommunikation immer transparent ist. Auf keinen Fall sollten Pädagogen die Eltern „zwischen Tür und Angel“ auf eine mögliche Hochbegabung ansprechen. Ist ein passender Termin gefunden, gilt:

  • Anschaulich und anhand konkreter Verhaltensbeispiele berichten, welche Besonderheiten bei dem Kind auffallen und warum dies aus pädagogischer Sicht Zeichen für eine Hochbegabung sein können.
  • Die Eltern ermutigen, selbst von Verhaltensweisen zuhause zu berichten, die ebenfalls in diese Richtung deuten.
  • Erklären, welche Schritte nun folgen können: eine Beratung bei einem Psychologen, ein Intelligenztest, der Sicherheit geben kann, und eine spezielle Förderung in der Kita, die das Kind dabei unterstützt, seine Stärken kennen und schätzen zu lernen.
  • Immer stärkenorientiert bleiben! Die Eltern sollen nicht das Gefühl bekommen, dass sie ein „Problemkind“ haben. Wenn die Eltern positiv aus dem Gespräch gehen, wird sich das auch positiv auf ihr Kind auswirken. Hochbegabung an sich ist kein Problem, es entstehen nur häufig Probleme daraus aufgrund von Unwissenheit der Umgebung oder deren geringer Bereitschaft, die Bedürfnisse und Eigenheiten hochbegabter Kinder anzunehmen und sich darauf einzulassen.

Welche Fortbildungsformate bietet die Kleine Füchse Raule-Stiftung für Erzieher an?

Tragende Säule unserer Stiftungsarbeit ist unser Zertifikats-Kurs „Begabungspädagogische Fachkraft Stiftung Kleine Füchse“. Diese berufsbegleitende Fortbildung vermittelt Erzieherinnen und Erziehern umfassendes Wissen über frühkindliche Hochbegabung. Die Inhalte vereinen wie oben beschrieben die Theorie mit einem hohen Praxisanteil und gehen so ganz spezifisch auf die Herausforderungen und Problematiken mit hochbegabten Kindern in der Kita ein. Nach der Fortbildung sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicher im Beobachten von Verhaltensbesonderheiten und im Erkennen von Anzeichen für eine mögliche Hochbegabung. Sie können begabte und hochbegabte Kinder gezielt fördern und ihnen so eine entscheidende Unterstützung in ihrer kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung sein. Details zum Zertifikats-Kurs „Begabungspädagogische Fachkraft Stiftung Kleine Füchse“ finden Sie hier: Online- und Präsenz-Zertifikatskurse ° Kleine Füchse Raule-Stiftung (stiftung-kleine-fuechse.de)

Als einführende Veranstaltung bieten wir zudem ein Tages-Seminar an. Dieses richtet sich an Kita-Leitungen sowie pädagogische Fachkräfte und macht die Teilnehmenden mit den Grundlagen kindlicher Hochbegabung sowie den Vorteilen begabungsgerechter Förderung in der Kita vertraut. Alle Infos zum Tages-Seminar finden Sie hier: Tages-Seminare ° Kleine Füchse Raule-Stiftung (stiftung-kleine-fuechse.de)

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Weitere Informationen zu frühkindlicher Hochbegabung findet Ihr auf der Webseite der Kleine Füchse Raule-Stiftung:  https://www.stiftung-kleine-fuechse.de/

 

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Von rschulte

Ralf Schulte ist Texter, Redakteur, Creative Director, Marketingspezialist sowie Literatur-, Film- und Theaterwissenschaftler.

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